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Tiputini Expedition

Jemanden zu finden, der verrückt genug war, mit mir nach Ecuador zu fliegen, war schwierig. Aber dann fiel mir Siggi, ein Heilpraktiker, den ich beim Kampfsport kennen und schätzen gelernt hatte, sozusagen direkt vor die Füße.

Da es meine erste Expedition war, fielen die Planungen sehr umfangreich aus. Siggi überließ dabei alles mir, was für mich okay war. Das größte Problem war die Zusammenstellung der Nahrung: bei dem feuchtheißen Klima schieden frische Lebensmittel komplett aus, aber drei Wochen sind ja eine lange Zeit … Also packte ich Trockennahrung in große Mengen ein. Auch für die Entscheidung Hängematte oder Zelt, also lieber weg vom Boden oder besser einen Schutz um mich herum, ließ ich mir eine Weile Zeit. Schließlich erstand ich dann zwei Hängematten mit integriertem Regendach und Moskitonetz. Was die Wahl des Bootes betraf, wäre eigentlich ein Schlauchkanadier optimal gewesen. Wie lange jedoch Reparaturen in diesem schwül-heißen Klima standhalten würden, wäre fraglich. Also entschied ich mich für einen Ally Faltkanadier. Mit seinen rund 23 kg Gewicht, zusammengefaltet in einem großen Sack verstaut, schien er mir die beste Variante. Von einem Bekannten ließ ich diverse Reparaturhülsen für das Alugestell anfertigen, ein weiterer Freund versorgte mich mit entsprechend starkem Garn und dicken Nadeln, um die Bootshaut notfalls nähen zu können. Gemeinsam mit meinem Hausarzt – damals hatten die Ärzte noch Zeit und konnten dafür auch saftige Rechnungen schreiben! – stellte ich eine Reiseapotheke zusammen.

Als wir alle notwendigen Utensilien beisammen hatten, traf uns fast der Schlag: Stolze 108 kg zeigte uns die Waage für die komplette Ausrüstung an! Aber damals wollte ich auf nichts verzichten. Als Expeditions-Neuling war ich der festen Ansicht: „Besser etwas mehr dabei als zu wenig.“ Wie man sich doch täuschen kann … Siggi machte den Vorschlag, unser Marschgepäck mit Rotkreuzaufklebern zu versehen, damit könnten wir vielleicht jemanden erbarmen. Gesagt, getan. Schwer bepackt liefen wir am Nürnberger Flughafen ein, die schweren Sachen allesamt Handgepäck verstaut. Siggi präsentierte sich im Dschungeldress, was mir etwas peinlich war. Die Patronenweste, die er sich umgehängt hatte, war mit allem Möglichen vollgestopft. Ich weiß noch, dass ich zu ihm sagte: „Siggi, das schwere Ding bringt dich um im Dschungel.“ Worauf er lapidar antwortete: „Diese Weste werde ich niemals ablegen.“ Er hatte die Weste dann übrigens genau einmal an, nämlich als ich ein Foto von ihm machte …!
Beim Einchecken zeigten die Aufkleber tatsächlich Wirkung, wir wurden lediglich gefragt, was wir vorhaben. Bei der Antwort flunkerten wir etwas, aber das war schon in Ordnung so. Bei der Personenkontrolle jedoch musste Siggi die Karten auf den Tisch legen, der Piepser bekam sich gar nicht mehr ein. Ich werde nie vergessen, wie er vor dem strengen Blick der Kontrolleurin alles auspackte: ein Skalpell, eine Angelschnur mit diversen Hacken, eine Lampe, mehrere Kanülen mit unterschiedlichen Nadeln, Infusionsbesteck und so weiter. Die Augen der Kontrolleurin wurden immer größer und sie fragte: „Guter Mann, wo wollen Sie denn hin, in den Dschungel?“ Siggi, in seiner unnachahmlich lässigen Art, antwortete nur knapp: „Genau …“ – und kam durch. Das waren noch entspannte Zeiten in den Sicherheitszonen der Flughäfen!

An Heiligabend um 6 Uhr Ortszeit landeten wir in Quito, Siggi war genauso wie ich beim ersten Mal in Ecuador völlig begeistert. Von einem Autor und einem der Ersten, der Kontakt zu den Huaorani hatte, Erwin Patzelt, hatte ich die Anschrift eines zuverlässigen Piloten bekommen. Sein Name war Captain Ruales. Meine ursprünglichen Reisplanungen umfassten die Flussgebiete des Yasuní, Tiputini, Nashino und Cononaco, nach einem Gespräch mit Captain Ruales reduzierten sich diese Optionen leider deutlich. Die Indios waren zur damaligen Zeit sehr aufgebracht, da die amerikanische Ölfirma Exxon eine Straße quer durch das Indiander-Territorium bauen lassen wollte beziehungsweise bereits damit begonnen hatte. Der Pilot teilte uns auch mit, dass es aktuell erneut kriegerische Auseinandersetzungen des Volkes mit Peru gäbe, der Grenzverlauf am Rio Napo sei seit langer Zeit ein Streitpunkt und es käme dort in regelmäßigen Abständen zu Scharmützeln. Captain Ruales konnte uns also guten Gewissens nur den Tiputini empfehlen, der läge am Rand des Gebietes der Huaorani. Eine Fluggenehmigung bekäme er allerdings zurzeit nicht, aber einen zuverlässigen Bootsführer in Coca konnte er uns nennen. Puerto Francisco de Orellana, kurz auch (El) Coca genannt, liegt am Rio Napo und trägt den Namen eines spanischen Konquistadoren, der 1542 in die Neue Welt aufbrach und den Amazonas entdeckte.
Der Führer brachte uns bis zur Mündung des Tiputini, mit dem Kanu wollten wir dann versuchen, weiter stromaufwärts zu kommen. Es war eine eher unbeliebte Entscheidung, aber wenn der Einstieg von oben nicht möglich war, mussten wir das Vorhaben eben von unten angehen.

Der Fahrtwind auf dem Motorboot brachte zwar etwas Kühlung, täuschte aber nicht über die extrem schwül-warme Luft hinweg. Wie sollte das Paddeln da zum Vergnügen werden, wenn wir jetzt schon literweise Wasser ausschwitzten?
An dem Militärstützpunkt unweit der Mündung des Tiputini mussten wir uns registrieren lassen. Dort gab es auch eine Bar, in der wir vor Beginn unseres Abenteuers noch ein letztes Bier trinken wollten. Nachdem wir erklärt hatten, keine Amerikaner zu sein, hellten sich die Minen der Soldaten deutlich auf und ein Becher Rum machte die Runde.
Am nächsten Tag luden wir unser Gepäck aus dem Motorboot und waren dann plötzlich ganz alleine im Dschungel. Ich glaube, uns beiden war etwas mulmig zumute, aber das gab keiner zu. Wir bauten das Kanu zusammen und waren danach erst einmal ziemlich erledigt – Jetlag, die neue Umgebung und das ungewohnte Amazonas-Klima forderten uns am Anfang ziemlich. Die hereinbrechende Dunkelheit trug dabei keineswegs zu unserer Beruhigung bei: überall undefinierbare Geräusche, hier ein Knacken, da ein Platschen im Wasser, dann Schleifgeräusche auf dem Boden … Als wir genug davon hatten, verzogen wie uns in die Höhe unserer Hängematten und hingen unseren Gedanken nach.

Seit vier Stunden waren wir jetzt unterwegs uns das Paddeln ging weit besser als befürchtet. Die Vegetation war ziemlich dicht und so waren wir nur in der Mittagszeit der prallen Sonne ausgesetzt – und da legten wir dann eine Siesta ein. Der Tiputini führt zwar wenig Wasser, aber als routinierte Wildwasserfahrer kamen wir gut voran. Wir passierten Stellen mit ins Wasser gefallenen Bäumen, dicht besiedelt mit scheuen Wasserschildkröten, die sich sofort ins Wasser gleiten ließen, wenn wir näherkamen. Kein Wunder, die Tierchen stehen auf dem Speiseplan der Indianer und in einem Dorf am Napo sah ich die armen Geschöpfe im Angesicht des Todes, auf dem Rücken liegend und mit Holzpflöcken zwischen den Beinen, elendig verkümmern. Die ersten Flussdelfine bekamen wir auch zu Gesicht, das war ein ganz besonderes Erlebnis. Auch sichteten wir etliche Kaimane, die aber beruhigenderweise nicht sehr groß waren. Ab vier Uhr am Nachmittag suchten wir stets einen geeigneten Übernachtungsplatz. Da es reichlich Sandbänke gab, prüften wir zunächst die Moskitodichte, konnten aber bis zum Schluss nicht ergründen, warum eine Stelle nahezu moskitofrei war, während es zwei Flusskurven weiter nur so wimmelte vor lauter Stechinsekten. Mit den Ameiseninvasionen wurden wir uns immer schnell einig: Sie beherrschten das Territorium und wir mussten uns beugen …
Jeder Tag auf dem Tiputini bot neue Überraschungen, hinter jeder Flussbiegung erwarteten uns neue Eindrücke und Erlebnisse. Bestimmt war auch eine Menge Anfängerglück mit im Spiel, dass uns die Landschaft hier mit so viel Schönem begegnete. Das fing mit den fast täglichen Begegnungen mit den Delfinen an, zwischendurch konnten wir in aller Ruhe eine große Gruppe Fischotter betrachten und einmal lief bei einer Mittagspause eine Tapirfamilie direkt durch das Camp. Ein anderes Mal beobachteten wir eine junge Anakonda bei ihrer Fischmahlzeit.
An der Bootsanlegestelle einer Biologischen Station legten wir einen Halt ein. Der Leiter, ein Mann namens [XY] Vornamen Meier, gab uns den Rat, die weiter oben liegenden Lagunen zu meiden, da die schwarzen Kaimane dort bis zu sechs Metern lang und gefährlich seien. Auf der anschließenden Suche nach einem Schlafplatz bekamen wir „el tigre“ zu sehen, wie der Jaguar genannt wird. Er zeigte sich nur kurz, war aber deutlich zu erkennen – welch glücklicher Zufallsmoment!

Die nächsten Tage waren sehr anstrengend. Wir mussten einige quer über dem Fluss liegende Bäume umtragen, wobei wir beim Aussteigen sofort bis zu den Knien im Morast versanken. So oft wie möglich, schlugen wir uns mit den Macheten einen Weg frei, denn wir mussten die gleiche Strecke ja wieder zurück. Oft standen wir dabei mit einem mulmigen Gefühl bis zur Brust im Wasser.
Als wir die Mündung des Tivacuno erreichten, waren wir einen Moment lang sprachlos. Der Fluss ist nur halb so breit wie der Tiputini und äußerst dicht bewachsen, fast düster. Dennoch folgten wunderbare Tage. Eines Mittags sah Siggi etwas weiter entfernt etwas großes Schwarzes liegen. „Schade“, dachten wir, „wenn hier jetzt schon alte Autoreifen rumliegen, dann sind wir der Zivilisation schon wieder näher als wir wollten.“ Neugierig näherten wir uns dem Ding durch den Schlamm. Nur wenige Meter vor dem schwarzen Etwas erkannten wir die Anakonda, vor Aufregung vergaßen wir alle Vorsicht und näherten uns dem Tier bis auf etwa einen Meter. Die Schlange bewegte sich nicht und Siggi schoss ein Foto nach dem anderen. Plötzlich bewegte sich der Kopf der Schlange, dann hob er sich langsam und das Riesentier bekam uns in sein Blickfeld. Leise flüsterte ich: „Sch…!“ Mit einer unvorstellbaren Kraftexplosion hob sich der ganze Körper, bäumte sich auf – und schnellte dann ins Wasser. Seit diesem Tag hatte sich unsere Angst vor Kaimanen erst einmal deutlich reduziert, nur Anakondas wollten wir nicht mehr unbedingt begegnen.

Der Fluss wurde in den folgenden Tagen immer seichter und ein Vorankommen war durch die vielen umgefallenen Bäume immer schwieriger. Also beschlossen wir, dass es Zeit für den Rückweg wäre. Da es nun angenehm mit der Strömung flussabwärts ging, konnte ich nebenher noch angeln und so gab es fast jeden Tag Piranha zu essen. Es war der einzige Fisch, der zuverlässig biss – zum Glück meist nur in den Angelhaken. Als ich gerade wieder einmal hinten im Boot mit einem widerspenstigen Exemplar kämpfte, schrie Siggi vorne plötzlich: „Da, ein Jaguar vor uns im Fluss, keine zehn Meter entfernt!“ Der Jaguar war derart verdutzt ob der lauten Rufe, dass er beidrehte und neugierig auf unser Boot zu- und dann vorbeischwamm. Leider hatte Siggi den Foto nicht zur Hand, weil er paddeln musste, und ich gerade den noch schnappenden Piranha auf dem Boden liegen. Die hastig und zu spät geknipsten Bilder wurden allesamt unscharf …
Kurz vor der Mündung in den Rio Napo sahen wir dann einige Tage später unser Boot liegen, das uns zurück in die Zivilisation bringen sollte. Eine schöne Tour ging damit zu Ende. Ich werde wiederkommen, Ecuador!

Galerie - Tiputini Expedition
Hier gibt es die Bilder zum Text!
Karte - Tiputini Expedition
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